Did you know that Jesus loves you?

Pastor Paul

 

Irgendwie hatten wir es ja schon immer geahnt. Doch als uns der Pastor an diesem Morgen dann so unverblümt mit dieser Enthüllung („Did you know that Jesus loves you?“) konfrontiert, trifft sie uns doch ein wenig unvorbereitet. Die Direktheit seiner Frage (wir wollten ihm gerade die Hand zum Abschied reichen) ist entwaffnend und ihre rhetorische Form bringt uns zunächst in Verlegenheit: „Ja“, wäre die falschen Antwort, „nein“ vermutlich auch. Mit etwas mehr Erfahrung in Bezug auf den Missionseifer amerikanischer Kleinkirchen (bei uns vorurteilsvoll als Sekten verschrien) wären wir mit Sicherheit gewappnet gewesen. So aber unterläuft uns ein klitzekleiner Fehler: Wir zeigen nicht genügend Glaubenskraft. – Der Pastor holt uns daraufhin in sein Büro und hält uns eine flammende Predigt über Gott, die Suche in unseren Herzen und die Suche nach Liebe ganz allgemein. Wir haben unsere Radhelme inzwischen wieder abgenommen, drehen sie ein wenig ungeduldig zwischen den Händen und denken dabei an irgendetwas Neutrales, etwa an ein Stück verregneter Landstraße, möglichst ein paar Stunden weit weg von hier. Doch das verleiht uns vermutlich erst recht die Aura verlorener Schäfchen.

Auch sonst tun wir wirklich alles, um einer pastoralen Grundsatzdiskussion aus dem Weg zu gehen: Wir erlauben uns keinen Widerspruch, bekunden dies auch durch rhythmisches Kopfnicken, sehen abwechselnd in regelmäßigen Abständen auf die Uhr und gestatten dem Gottesmann sogar für uns zu beten. Als er geendigt hat, werden wir schließlich entlassen.

Schon wenig später zeigen die Gebete des Pfarrers Wirkung. Ein unscheinbarer kleiner Glassplitter dringt in Tobis Hinterreifen ein und verursacht den ersten „Patschen“ dieser Reise. Gott sei Dank: Daheim bin sonst immer ich derjenige, der vom Pech verfolgt wird. – Schon seit Boston wartet Tobi hämisch darauf, dass mir ein entsprechendes Missgeschick passiert. Es gibt eben doch noch Gerechtigkeit auf Erden. Tobi flickt den Schlauch, wird dabei ein bisschen dreckig – aber was soll’s …

Heute fressen wir Kilometer, zehren dabei jede Menge Bundesstraßen auf und ziehen uns als Nachspeise das Örtchen Alabama rein, ehe wir pünktlich zum Abendessen in Niagara Falls einreiten. Der örtliche YMCA (wohl derselbe wie aus dem Hampelmann-Lied) verlangt astronomische 25 Dollar für eine Übernachtung ohne Frühstück, also überreden wir stattdessen eine ältere Dame, uns eine Ecke ihrer Großgarage zu überlassen. Nachdem wir ihr dafür beim Sperrmülltragen geholfen haben, empfiehlt sie uns „Mr. B’s Pizzeria“ zum Abendessen (gehört einem Neffen von ihr, ist also das beste Beisl der Stadt).

Dank Stefans Größenwahn verdrücken wir ein Billigangebot für vier Personen (ein halber Quadratmeter Pizza und 16 jumbohafte Chickenwings) zu zweit.

Als wir kurz vor Einbruch der Dunkelheit zu unserer vermeintlichen Lagerstätte zurückkehren, erfahren wir, dass wir vom Sohn unserer älteren Dame in der Zwischenzeit vor die Tür gesetzt worden sind. Er hat zwar nicht Angst um seine Mutter, die allein im Haus wohnt, wohl aber um seine Motorjacht in der Garage. Seine Sorge ist nur allzu verständlich: Tatsächlich juckt es uns schon seit dem frühen Abend in den Fingern, das tonnenschwere Ding an unsere Fahrräder zu hängen und damit klammheimlich durch das gesamte westliche Amerika zu radeln. Schließlich soll es in Kalifornien ja so was wie ein Meer geben, und da kommt es bestimmt ganz gelegen, wenn man rechtzeitig darauf schaut, dass man ein Boot hat, wenn man’s braucht … – Da es schon kräftig dämmert, dicke Regenwolken aufgezogen sind und wir hier nicht gerade im Villenviertel gestrandet sind, ist es auch sonst keine sehr freundliche Geste. Ein wenig ratlos (und entsprechend verärgert) kehren wir zu unserem einzigen „Nothafen“, Mr. B’s Lokal, zurück.

Es kann gar keine bessere Methode geben, um die in Europa als oberflächlich verschrienen Amerikaner zu testen: Zurück im Lokal, bitten wir genau jene „oberflächlich freundlichen“ Leute vom Nachbartisch, mit denen wir noch eine halbe Stunde zuvor angeregt geplaudert haben, um Hilfe.

Den Abend verbringen wir daraufhin bei Bier und Chips mit unseren neuen alten Freunden vor dem Fernseher. Dominik, unser Gastgeber (nun gar nicht mehr oberflächlich), erklärt mit ausladenden Armkreisen seinen Kühlschrank zu unserem Kühlschrank und seine Couch zu unserer. Während draußen irgendjemand kübelweise Wasser auf das Blechdach des Veranda-Anbaus schüttet und sich mit einem Disco-Stroboskop vor dem Fenster amüsiert, werden wir Zeuge eines historischen Spieles: Colorado Avalanche besiegen die Florida Panthers im Stanleycup-Finale und bringen so den begehrten Eishockey-Titel (samt Stanley-Becher) erstmals nach Denver. Was für ein Verdienst für die Menschheit! – Beinahe ebenso erstaunlich ist die Tatsache, dass wir beim Fernsehen nicht vom Blitz getroffen werden.


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Stefan & Tobi