Eines Tages werde ich euch erwischen!

Der Zauberer Gargamel

 

Premiere: Wir legen unseren allerersten Pausentag ein. Schließlich stehen heute die Niagarafälle auf dem Programm. Außerdem ein nettes Barbecue unter „alten Freunden“. Und das kam so:

Als wir gestern durch das Industrieviertel in die Stadt geradelt sind, haben wir – in heilloser Verwirrung – an einem Milkshake-Stand nach dem Weg gefragt („Bitte irgendwo in die Stadt, wo’s nett ist!“). Mary, das bildhübsche Milkshake-Mädchen mit den haselnussbraunen Augen, spendierte uns zwei Milkshakes unserer Wahl („Wann kommen hier schon mal ein paar radelnde Österreicher vorbei!“), zeigte uns den rechten Weg und stattete uns schließlich auch noch mit der Adresse einer italienischen Familie aus, deren Tochter Maria (so habe sie gehört) in Austria als Opernsängerin auftrete und gerade auf Besuch in Niagara sei.

Heute Vormittag, bei unserem Anstandsbesuch, ist die Sängerin Maria leider nicht zu Hause. Wohl aber die Eltern, die uns durch unser verwirrendes Gestammel für alte Freunde ihrer Tochter halten und uns daraufhin zu einer Familienparty am Abend einladen.

Mit diesen angenehmen Aussichten machen wir uns auf den Weg zu den Wasserfällen.
 

Im Land der blauen Schlümpfe

Wo sind wir hier nur wieder gelandet? Alles ist voller blauer Männchen! Sie sitzen und stehen auf großen Booten, pendeln auf schmalen Pfaden und Holzstegen geschäftig zwischen rauschenden Sturzbächen hindurch. Typen in Blau, Wasser, Stege? Hmm … – Matrosen vielleicht, auf Landurlaub? Nein, zu geordnet sind ihre Bahnen, zu mystisch auch die zarten Nebelschleier, die über der Landschaft liegen. Und trotzdem sind uns diese blauen Männchen nur allzu bekannt. Bloß woher?

Plötzlich, ein Geistesschlumpf: Natürlich! Dies muss der Ort sein, an den der böse Zauberer Gargamel niemals vordringen konnte … Es gibt sie also wirklich, die Schlümpfe! Wieder einmal haben wir etwas vollkommen Unverhofftes gefunden, sind mit mehr Glück als Verstand hineingestolpert. Als Kinder hatte man uns immer erzählt, dass wir diesen Ort nur finden würden, wenn wir ganz besonders brav wären. Und nun waren wir es. Schließlich sind wir schon mehr als 1000 Kilometer geradelt.

Ehrfürchtig verharren wir hier den ganzen Nachmittag und wagen es kaum, Fotos zu schießen: Das ist alles so groß und passt auch gar nicht in die kleine Kamera. Vor allem aber wollen wir keinem der zauberhaften Blaublütler an diesem Ort der Kraft seine Seele rauben. Zahllose Regenbögen machen klar, wie viele Goldtöpfe hier vergraben sein müssen. Typisch amerikanische Übertreibung!

Dann zieht uns eine unbekannte Kraft auf eines der Schiffe („Maid of the Mist“ steht drauf. „Aus Kompost hergestellt“ – toll, und es riecht gar nicht so streng!). Man kleidet auch uns in blaue Plastikumhänge – wegen des Wasserfalls, angeblich. Doch wir wissen, dass das ein Touristenschmäh ist: Die anderen können sie vielleicht täuschen. Uns nicht! Der wahre Schlumpf dieses Ortes ist uns bereits offenbart worden …
 

Auf alle Fälle sind sie irgendwie lässig, diese Fälle. Das Wasser, das in ruhigen Bahnen auf die Kante zurollt, scheint keine Ahnung davon zu haben, dass es schon wenige Augenblicke später Teil dieses gigantischen Schauspiels werden wird. Hätte es Augen, dann würde es sich allerdings schon ziemlich wundern, warum man ausgerechnet hier so extrem hässliche Hotels und Türme hingeklotzt hat …

Am Abend werden wir dann überaus freundlich empfangen: Eine richtige italienische Bilderbuchfamilie, die uns da eingeladen hat – mit lauter gut gelaunten Brüdern, Schwestern, Schwägerinnen und Neffen und sogar einer richtigen Schwiegermama. Zum Essen gibt es – wie könnte es anders sein – „Pasta à la Mama“ und ein italienisches Buffet.

Später am Abend brechen alle zu einem Jahrhundertereignis auf – wir natürlich auch: Die olympische Fackel wird auf ihrem Weg nach Atlanta durch Niagara getragen. Für die Amis ein Volksfest mit Neujahrscharakter: Hunderte Menschen säumen den Weg, Picknickkörbe voller Herrlichkeiten an jeder Straßenecke, und zu all dem – zur Ehre der Fackelläufer – ein prachtvolles Feuerwerk. Wir geben der „Niagara Gazette“ ein Interview. In der morgigen Ausgabe wird zu lesen sein: „Two guys from Europe came to Niagara Falls just to see the Olympic fire!“ – Diese Journalisten!

Tatsächlich werden wir dieses Feuer noch mehrmals sehen. Allerdings nur im Fernsehen. Wenn die Fackel dann Atlanta erreicht und Cassius Clay im Stadion das große Feuer entzündet, werden wir schon in Idaho sein …

Als der Fackelläufer die Stadt verlassen hat, ist dann auch die Gewitterwolke über Niagara Falls so gerührt, dass sie sich einfach nicht mehr zurückhalten kann: Das Volksfest nimmt ein jähes Ende und Tausende Niagaraner werden nass. Aber so richtig!

Glücklich über all die unwiederbringlichen Eindrücke des Tages rollen wir auf der überdachten Veranda unserer Gastgeber die Schlafsäcke aus. Ein letzter Sprung in den Pool, um die klebrige Hitze des Tages abzuwaschen. Dann schleicht sich mitten in die kugelrunde Zufriedenheit eine entspannende Müdigkeit, während das wütend vor sich hin grollende Gewitter einem lang anhaltenden, aufs Vordach prasselnden Regen Platz macht.

Morgen sind wir zum ersten Mal in unserem Leben in Kanada.


Über die Autoren

Stefan & Tobi