Surfin’ USA

Brian Wilson

 

Feuchter Dreck – so ungefähr fühlen wir uns nach diesem langen, beschissenen Vormittag. Dabei fing alles eigentlich ganz nett an: Während wir in unserem Zelt von einer Wiedergeburt als Zuchtstiere träumten, kamen draußen auf der Weide doch tatsächlich zwei schwarze Schafe zur Welt.

Bevor ich den Bauern fragen kann, ob er die zwei nicht nach uns benennen will, ist Stefan schon auf den Highway hinausgerollt und dreht sich freundlich winkend nach mir um. Ich glaube, er hat was gegen schwarze Schafe …

Bei Arby’s in der nächsten Stadt vertilgen wir noch schnell unsere allerersten Pancakes und dann haben die örtlichen Truckfahrer offensichtlich Großkampftag: Die Lastwagen fahren so schnell an uns vorbei, dass uns die Druckwelle um einen guten Meter nach außen wirft (besonders unerfreulich, wenn der Pannenstreifen – wie hier in Kanada – nur ein paar Zentimeter breit ist), oder sie fahren so knapp, dass einen die mannshohen Radwalzen regelrecht ansaugen.

Die Erleuchtung kommt nach dem vierten oder fünften Angstschweiß-Ausbruch: Yeah, Truck-Surfing! Eine neue Sportart ist geboren. Motto des megacoolen Trend-Events: Nimm mich – aber bitte küss mich nicht (und schon gar nicht mit diesen dicken, wulstigen Reifen).

Großstadt-Junkies sind Fingernageldreck gegen uns!

Wie’s funktioniert? Ganz einfach: Lastwagen auswählen (möglichst groß), ausharren, bis er überholt, Druckwelle abwarten, kraftvoll gegenlenken, zeitgerecht in den Sog hineinfahren (erst, wenn man sicher ist, dass nicht noch ein Anhänger kommt) und sich dann entsprechend weit mitziehen lassen. Adrenalin als Droge. Bungie-Jumping ist was für Volksschüler!

Die Ernüchterung kommt mit dem Gegenwind. Und der schlägt wieder knallhart zu, sobald du die Nummerntafel vor dir nicht mehr lesen kannst. Um zwei Uhr nachmittags sind wir von unserem neuen Hobby so ausgelaugt, dass wir im Schatten hinter einem Geräteschuppen unsere Iso-Matten ausrollen und uns eine Runde aufs Ohr hauen.

Aber irgendetwas fehlt uns zur perfekten Faulenzerei: Ein kühles Blondes wäre jetzt nicht schlecht. Leider ist weit und breit kein Supermarkt zu sehen. Nur eine Baustelle. Ha, das wäre doch gelacht, wenn …

Wir knobeln. Stefan zieht den Kürzeren und kommt wenige Minuten später tatsächlich mit zwei Flaschen Budweiser zurück (eine weitere Anwendungsmöglichkeit des Spruchs: „We are two guys from Austria … “). Lauwarm ist das Zeug. Na ja, der Gedanke zählt.

Als wir nach ausgiebigem Päuschen eine Stunde später im Sattel sitzen, beginnt es natürlich wieder einmal zu regnen. Dabei wollten wir heute eigentlich gar nicht nass werden! – Eine Bowlinghalle am Straßenrand macht uns die Entscheidung leicht.

Was für ein seltsamer Anblick muss das für die besoffenen Locals sein, die an der Bar im Nebenraum herumhängen: Zwei Clowns in Radelkostümen pfuschen dilettantisch auf ihrer Hausbahn herum! – Der Besitzer wird vorgeschickt, um die zwei Loser auszuquetschen. Als er unsere Story hört, ist er so begeistert, dass das Spiel aufs Haus geht.

Mit neuem Selbstbewusstsein schwingen wir uns wieder auf die Räder. Die Sonne lacht, das Mütterchen vor der Baptistenkirche im Örtchen Royal lacht und schon haben wir eine neue Schlafgelegenheit: Wir sollen doch bei Neila und ihrem Mann Jerry zu Hause (zwei Meilen außerhalb der Stadt) vorbeischauen. Sie habe dort eine kleine Party mit ihren Freunden vom Baptistenchor und wäre „delighted“ (also regelrecht entzückt), uns dem harten Kern der Gemeinde vorstellen zu dürfen. Es gebe auch was zu essen. – Da wir gerade nichts Besseres vorhaben …

Auf dem kurzen Weg zu unseren neuen Gastgebern zerfetzt es mir zweimal im Abstand von nur 100 Metern das Hinterrad. Dubiose Anrainer verstehen meine flehentlichen Blicke gen Himmel falsch und borgen ihre Pumpe her in der Absicht, uns als Gegenleistung zu irgendeiner Splitterkirche bekehren zu dürfen. Unsere eigene Pumpe – Modell „Besseralsnichts“ – ist so handlich klein, dass sie nur im äußersten Notfall zu gebrauchen ist. Am Ende entkommen wir mit knappem Vorsprung. (Noch nie hab’ ich Hinterrad und Satteltaschen so schnell montiert!)

So muss es im Mittelalter gewesen sein: „Klingeling! – Die fahrenden Märchenerzähler kommen.“ Vogelfrei und trotzdem fröhlich erzählen wir auch diesen wissbegierigen Leuten unsere Geschichte. Nur singen dürfen wir nicht. Eine Pointe erschlägt die andere (Autsch! – Die Storys werden eigenartigerweise jedes Mal besser …) und wir werden zum Dank verköstigt und geputzt. (Man wäscht uns sogar die Wäsche – das Zeug ist so sauber wie sonst nicht einmal daheim.)


Über die Autoren

Stefan & Tobi