Pain is so close to pleasure

Freddy Mercury

 

Heidelbeeren auf Pfannkuchen: Im Restaurant „Die drei Beeren“ – pardon, „Bären“ (der Name basiert auf einem amerikanischen Kindermärchen), mästen wir uns für unsere erste Etappe im neuen Staat Idaho.

Abgesehen vom Frühstück ist es ein lausiger Tag. Dank der Katze unseres Gastgebers und meiner Katzenallergie ringe ich nach Luft. Und das Radfahren macht heute auch keinen Spaß.

Eigentlich hätte der heutige Tag die Goldene Saure Gurke der Reise verdient: Aber bekanntlich soll man den Tag nicht vor dem Abend verfluchen.

Unser Verhältnis zu Idaho ist von Anfang an gespannt. Als wir die Grenze überqueren, präsentiert sich der neue Staat völlig anonym: Dicke, schwarze Gewitterwolken überall. Kälte. Und Wind – stürmischer Wind.

Ganze Wolkenbänke rasen im Zeitraffertempo über den Himmel. Wir bremsen kurzfristig für eine Regenfront, die offenbar vor uns die Fahrbahn überqueren möchte. Während den entgegenkommenden Autos noch immer das Wasser aus den Kotflügeln rinnt, öffnet sich auf einmal ein schmaler Schönwetterkanal entlang der Straße, und für einen Augenblick sieht es so aus, als ob wir ohne nass zu werden (oder einen Blitz einzufangen) zur Sonnenseite Idahos überwechseln könnten.

Als wir nach insgesamt 25 Meilen in einem Wirtshaus unsere Mittagspause machen, schließt sich jedoch die Wolkendecke innerhalb weniger Minuten. Während wir drinnen im Warmen genüßlich eine Vier-Personen-Pizza verdrücken, schüttet und hagelt es draußen wie verrückt.

Tobi findet es unendlich komisch, dass ich raus in den Regen muss, um meine Satteltaschen mit Plastikfolie abzudecken (seine hat er schon vorher abgedichtet). Einen seltsamen Humor hat dieser Mensch.

Eine halbe Stunde nach dem Essen nimmt die Welt von ihrem ursprünglichen Vorhaben Abstand und beschließt, heute doch nicht unterzugehen. Trotzdem hängen den ganzen Nachmittag bedrohliche Wolken über uns. – Gelegentlich nieselt es.

Zu allem Überfluss geraten wir auch noch auf so eine verdammte Touristenroute, auf der die Leute wie die ersten Menschen fahren. Ein besonders reizendes Exemplar (Spezialausführung mit Baseballkappe) schießt mich kurz vor Ashton regelrecht von der Straße. Wenn ich den Typen in den nächsten Stunden irgendwo erwischt hätte, ich hätte ihn in meiner blinden Wut windelweich geprügelt.

Alles in allem also ein richtig netter, erfreulicher Mittwochnachmittag. Als wir gerade darüber nachdenken wollen, wie wir diesen Tag möglichst unauffällig und schnell zu Ende bringen können, beginnt es wirklich zu regnen. Im Windschattenakkord rasen wir in Richtung St. Anthony.

Auf der Abfahrt nach St. Anthony wird gerade der Fahrbahnbelag erneuert: Sechs Meilen Baustelle und eine auf der gesamten Länge aufgerissene Straße lassen nur eine asphaltierte Spur frei. Mit 35 mph geht es abwärts (mehr ist auf diesem Baustellenabschnitt ohnehin nicht erlaubt). Natürlich bildet sich hinter mir trotzdem eine lange, hupende Schlange: Idioten, aufgefädelt wie auf einer Perlenkette, dümmliche Menschen, die einfach nicht begreifen können, warum ich mit fast 60 km/h nicht in den tiefen Schotter ausweiche. Natürlich fahr ich schön in der Mitte der Spur. Eh klar. Ich hab doch keine Lust, mich von irgend so einem Verrückten beim Überholen in den Kies abdrängen zu lassen! Mit einer Horde Bleifußcholerikern im Schlepptau fange ich plötzlich an, die Situation unheimlich zu genießen. Solange mich der Typ an meinem Hinterrad nicht von der Straße rempelt, bin ich hier vorne sicher wie in Abrahams Schoß! Und das traut der sich nie – schließlich hat er auch noch Frau und Kinder an Bord.

Als die Straße endlich wieder in zwei Spuren mündet und sich die Kolonne hupend, fluchend und an den Kopf tippend an mit vorbeiwälzt, grüße ich auf meine Art zurück.

Ohne getötet oder verstümmelt zu werden, schaffen wir es bis in die Stadt und bitten dort bei einer Mormonenkirche um Unterschlupf. Wir haben Glück: Karen, die Frau, die wir fragen, feiert heute ihren 35. Geburtstag und sieht kein Problem darin, uns bei ihren Eltern unterzubringen. So geraten wir an Karens unheimlich nette Familie, essen die Reste ihres Geburtstagsmenüs auf und bekommen von den Töchtern des Hauses einen hawaiischen Volkstanz vorgeführt. (Karens Mann Cook stammt aus Samoa – und die Kinder sind natürlich bildhübsch.)

Oma Chloe hat inzwischen ihren Wohnwagen (mit richtigen Betten!) für uns vorbereitet und stellt uns als Willkommensgruß sogar eine Duftkerze aufs Nachtkästchen. Karens Bruder Chuck (der in den Bergen für seine Firma Gold sucht) lädt uns schließlich ins Haus ein, wo wir den wohl dümmsten Film des letzten Jahrzehnts („Biodome“) bestaunen und in einem großen Eiswasserkübel nach Bierdosen fischen.

Hier sind wir wirklich gut aufgehoben – und ich bekomme endlich wieder dieses schöne Gefühl, dank solcher Menschen überall auf der Welt zu Hause sein zu können. Und die heutigen, quälenden Stunden waren doch zumindest in einem weiteren Punkt für mich nützlich: Sie haben mir in einer ziemlich destruktiven Phase einmal mehr den speziellen Charme unseres Abenteuers vor Augen geführt.


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Stefan & Tobi