Head like a hole

Nine Inch Nails

 

Ein Tag, so bunt wie der Regenbogen. Am Anfang der Palette stehen jedoch Grautöne …

Wieder den ganzen Tag Gegenwind. Stefan hat deswegen Schreianfälle, und ich muss mich sehr zurückhalten, nicht ebenfalls auszuzucken, bleibe aber nach außen hin seltsam ruhig: Das beste Beispiel dafür, dass Stefans Verhalten bei mir immer eine Gegenreaktion auslöst und umgekehrt.

Ich übe das Fahren in Trance. Gestern habe ich mehr Kräfte verbraucht, als mir eigentlich zur Verfügung standen (gut geblufft …). Dafür bin ich jetzt todmüde; es kostet mich schon Mühe, überhaupt auf die Straße zu sehen.

Stefan hat seine Kreditkarte wirklich verschmissen. Ich rufe von einer Tankstelle aus zu Hause an, um mir etwas Rückhalt in meiner von plötzlichem Heimweh durchtränkten Übellaunigkeit zu holen.

Von Arco, der Stadt der Atompioniere, fahren wir heute rund 120 Kilometer bis nach Hailey. Endlose Kartoffelfelder fließen über den Horizont hinaus in den blauen Himmel und schwappen an unsere Straßenkante wie gegen eine Hafenmauer. Ein zarter nebeliger Schleier liegt über der Landschaft. Mittendrin die sanften Hügel Idahos. Und wieder Kartoffelfelder. Dazwischen das Zischen der riesigen Bewässerungsanlagen. Schließlich wieder Sagebrush-Wüste.

In den Sträuchern am Straßenrand sitzen unsichtbare Käfermännchen und klappern paarungswütig mit den Flügeldeckeln. Ihr Lockruf klingt jedoch weniger wie erwartungsvolles Luststöhnen, eher wie gierige, schmatzende Kaugeräusche irgendwelcher noch nicht näher erforschten Wüstenratten.

Es ist derselbe schlauchende Gegenwind wie gestern. Nur die letzten 30 Kilometer sind halbwegs erträglich. Am Abend werde ich ein Bier brauchen.

Als auf dem letzten Stück die Anstrengung ein wenig nachlässt, marschiert mein Leben in Zeitlupe an mir vorbei. Auf den vielen mühseligen Kilometern, die hinter uns liegen, habe ich so gut wie nichts mehr wahrgenommen. Jetzt schaltet sich mein Hirn zum allerersten Mal wieder voll ein, während unter mir das Asphaltband durch Idahos Erdäpfelfelder läuft. So intensiv und klar konnte ich schon lange nicht mehr über das Leben, den Sinn der ganzen Plagerei und meine eigene, mögliche Zukunft nachdenken; ein ungeheuer heilender Moment für mein durcheinander geratenes Bewusstseinskostüm.

Der Wind flaut etwas ab, die Sonne verliert spürbar an Kraft und plötzlich: ein Radweg! Hat man uns hier etwa schon länger erwartet? Leider nein. Der unverhoffte Luxus gilt nicht uns, sondern Tausenden Touristen, denen hier auch im Sommer etwas geboten werden soll. Schließlich nähern wir uns dem berühmten Sun Valley, laut Umfrage das Skigebiet Nummer eins in den USA.

In Hailey suchen wir den örtlichen katholischen Hippie-Pfarrer „Tom“ auf. (Des Mannes guter Ruf ist uns schon ein paar Meilen die Straße hinunter entgegengeeilt.) Unsere Erwartungen sind dementsprechend hoch – leider stehen nur seine beiden bunt bemalten VW-Käfer vor der Kirchenpforte.

Als ich bei Nachbarn fragen gehe, ob Tom überhaupt in der Stadt ist, renne ich stattdessen Heini, einem über Australien und Vail nach Hailey ausgewanderten Salzburger Maurer, in die Arme.

Zufällig hat Heini gerade ein Barbecue auf dem Feuer und ein paar Freunde zu Besuch (unter anderem einen Kitzbüheler Skilehrer). Heini findet es daher nur logisch, dass wir heute bei ihm bleiben; extra für uns hat er bereits vor einer Stunde zwei Steaks beiseite gelegt. Als wir uns kugelrund gefressen haben, bekommen wir auch noch jeder ein eigenes Schlafgemach.


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Stefan & Tobi