Entweder Sie haben eine … (Oder brauchen Sie eine?)

Werbeslogan

 

In der vergangenen Nacht wurde ich von Moskitos und Kolibris belästigt: Erstere kann man ja erschlagen – aber was zum Teufel macht man gegen Kolibris?!

Es gelingt uns heute endlich einmal früh loszukommen. Schon gegen 10 Uhr erreichen wir unseren zwölften US-Bundesstaat: Oregon. Da Oregon immerhin bereits an den Pazifik grenzt, rufen wir vom Burger King in Ontario aus freudig erregt zu Hause in Wien an.

Den ganzen Vormittag fahren wir durch liebliche Dorflandschaften – von „sengender Wüste“ noch keine Spur. – Nach nur 40 Meilen beenden wir die heutige Etappe in Vale. Erstens soll hier in der Polizeistation eine kleine blaue Kreditkarte auf uns warten und zweitens geht angeblich kurz nach Vale wirklich die Wüste los. Wir marschieren also zuerst einmal zur Polizei und stellen (in dieser Reihenfolge) fest: Die Polizei ist wirklich unglaublich freundlich in diesem Land. Und: Die kleine blaue Karte ist nicht da.

Ich rufe die Kreditkartenfirma an und lasse meinen Frust (Arschlöcher!) an der Telefondame aus. Sie erklärt mir daraufhin, dass es leider nicht möglich sei, sich seine Kreditkarte an eine Polizeistation schicken zu lassen. Aus Sicherheitsgründen (!). Und natürlich, weil es Teil irgendeiner raffinierten und rationalen Argumenten unzugänglichen Firmenpolitik ist. Dass diese Firmenpolitik vor zwei Tagen offenbar noch nicht existierte, dazu fällt der guten Frau allerdings nichts mehr ein.

Zum Trost empfiehlt uns Officer Randy McLay sein Stammlokal fürs Mittagessen.

Mitten in der größten Völlerei („Alle-Aufläufe-you-can-eat“ für 4,50 Dollar!) ruht auf einmal das Auge des Gesetzes auf uns: Officer Randy betritt das Lokal und begrüßt uns wie zwei Spezialagenten auf der Durchreise. Er habe noch was Wichtiges vergessen und drückt jedem von uns – unter den staunenden Blicken der restlichen Restaurantbesucher – eine Fahrrad-Trinkflasche mit dem Werbetext der örtlichen Drogenbekämpfungsabteilung in die Hand. („Die werdet ihr noch brauchen, Jungs!“)

Gleich neben dem Lokal befindet sich ein altmodischer Frisiersalon. Praktisch: Man kann sogar direkt vom Lokal in den Laden gehen! Ein Haarschnitt kostet sechs Dollar. – Hmm, wenn wir morgen schon in die Wüste müssen, dann doch wenigstens ohne wüste Haare. Während Stefan seine vierte Nachspeise in sich hineinstopft, liefere ich mich also nebenan ans Messer. – Noch bevor ich sagen kann: „Machen Sie’s nett und kurz!“, ist der alte Herr schon wieder fertig: „Six Dollars!“ – „Äh, eigentlich wollte ich meine Haare kurz, nicht den Haarschnitt! Sie können sich ruhig ein bisschen Zeit lassen. Geht’s nicht noch ein bisschen kürzer?!“ – „Was?! Noch kürzer? Gut, Sie können sich gerne noch mal hinsetzen. Aber das kostet dann noch mal sechs Dollar.“ – „Aha. Na ja, so gesehen ist dieser Haarschnitt doch ganz nett … “

Wozu soll man eigentlich 1-800-BIGTITS anrufen, wenn man stattdessen auch gratis mit seiner Kreditkartenfirma plaudern kann? Während Tobi mit dem Friseur diskutiert, greife ich also noch mal zum Telefonhörer.

Als plötzlich ein Mann den Standard-Begrüßungstext herunterbetet, komme ich mir beinahe vor wie falsch verbunden. „Könnte ich bitte mit Cynthia sprechen?“ flöte ich mit samtener Stimme in den Hörer. „Cynthia“ – das ist die zuvorkommende Dame, die sich vorhin mit unglaublicher Engelsgeduld von mir beschimpfen ließ: Damit ich nicht erst einen weiteren Telefonisten in mein Problem einschulen muss, hatte ich sie am Ende unseres letzten Gesprächs nach ihrem Namen gefragt. – Nun fühle ich mich langsam wie ihr geheimer Verehrer.

Cynthia kennt mein Problem inzwischen ganz gut und erweist sich auf einmal als erstaunlich hilfsbereit. Nachdem ich ihr meinen genauen Standort klargemacht habe (nicht Vail, Colorado, sondern Vale, Oregon), zieht sie völlig unbürokratisch ihren Rand McNally Atlas unterm Schreibtisch hervor und geht mit mir unsere Strecke durch. Und die steht für die nächsten Tage fest: Schließlich gibt es in dieser Gegend überhaupt nur noch eine Straße (Highway 20), die wir nehmen können.

Am Ende der Route liegt ein Ort, der uns beiden zusagt (er liegt sogar noch in Oregon) und der unserem Vorhaben auch angemessen erscheint: Lakeview. Hier müssen wir in zwei oder drei Tagen einfach durch. – Ich bin begeistert! Was für eine Frau …

Bei einem kleinen Verdauungsspaziergang entdecken wir die Redaktion der örtlichen Zeitung und versuchen, unsere Geschichte gegen einen Schlafplatz einzutauschen. – Das Ergebnis ist selbst für unsere Verhältnisse unfassbar: Das örtliche „Ministry Board“ (irgendein Kirchenverband, den die Zeitungstante für uns anruft) lädt uns zu einer Nacht im Motel ein! Noch bevor wir überhaupt einchecken können, kommt eine junge Frau angefahren, bezahlt an der Rezeption unsere Zimmer, wünscht uns einen schönen Tag und verschwindet wieder. Jeder von uns bekommt ein eigenes Zimmer mit Klimaanlage, Minibar und Satelliten-TV. Wir rechnen die ganze Nacht damit, dass plötzlich ein Pfarrer an die Zimmertür klopft und uns zu irgendeiner Nischenkirche bekehren will, aber nichts dergleichen passiert. Wir gehen in aller Ruhe im geheizten City-Pool schwimmen, kaufen Chips und Bier ein und sehen uns im Zimmer mit dem besseren Empfang die heutigen olympischen Bewerbe an. – Ein denkwürdiger Tag voller Dramatik: In der Frauengymnastik fallen die amerikanischen Favoritinnen (sowie die Russinnen und die Chinesinnen) der Reihe nach aus (schluchz!).


Über die Autoren

Stefan & Tobi