Ein Land der Dürre und der Steppe,

wo niemand wohnt.

Jeremias 51, 43

 

Der Wecker rappelt zwar um 6 Uhr, draußen sind wir aber erst um 8.30 Uhr (selbst für unsere Verhältnisse eine schwache Leistung). Immerhin: Wir haben zu diesem Zeitpunkt auch schon Proviant gekauft, können also um 8.30 Uhr tatsächlich los. – Wider alle Erwartungen versteckt sich die Sonne heute vor uns (schämt sie sich etwa wegen vorgestern?). Anstatt der erwarteten 40 Grad Celsius ist es direkt kühl, nur der Wind ist bis Mittag ziemlich bösartig.

Paradoxerweise hat diese verkehrsarme, endlose Sagebrush-Wüste auch etwas unheimlich Stärkendes: Man fühlt sich auf einem einfachen Drahtesel richtig verwegen – nur die eigene Muskelkraft wird einen hier lebend durchbringen.

Wir kommen durch so quirlige Metropolen wie Riley (heute leider geschlossen) und „Wagontire Station“ (zwei Einwohner). Wagontire Station – ein Ort, der auf unserer Karte trotz wichtiger geographischer Lage nicht existiert – wird von einem Grantler-Ehepaar betrieben, das jeden rauswirft, der ihrer Meinung nach nur das Klo benützen will. Wir konsumieren jedoch jeder eine Suppe und dürfen deshalb außer pinkeln sogar ein bisserl Olympische Spiele schauen. Unsere Pläne, eventuell hier zu übernachten, lösen sich trotzdem schnell in Luft auf, zumal wir dabei eher an etwas Kostenloses vor dem Haus gedacht hatten. Außerdem sind wir heute sowieso gut zum Weiterfahren ausgerüstet (Wasser, Essen, Power) und darüber hinaus ist das Wetter ideal.

Wir fahren weiter bis Alkali Lake. Alkali Lake liegt malerisch am Ufer eines Sees. Leider ist’s ein Säuresee, der die meiste Zeit des Jahres auch noch ausgetrocknet ist. Aber sonst?

Der Ort besteht aus einem Café, das heute, Sonntag, offiziell geschlossen hat. Trotzdem lässt uns Liz, die gutherzige Besitzerin, Getränke kaufen. Als wir uns bei ihr wenig später nach einer Übernachtungsmöglichkeit erkundigen (weit und breit gibt es hier nichts anderes), bietet sie uns für 20 Dollar eine Nacht im Campingwagen (inklusive Dusche und Kühlschrank) an; als uns das zu viel ist, vermietet sie ihn uns für sieben.

Es ist das erste Mal, dass wir etwas für eine Übernachtung zahlen. Aber was soll man zu einem solchen Angebot schon sagen! Wir trösten uns damit, dass wir ja noch die 20 Dollar haben, die uns ein mitleidiger Radfahrer in South Dakota für solche Zwecke geschenkt hat: Bleiben also noch 13 Dollar Guthaben auf unserem Übernachtungskonto.

Wir erzählen uns heitere Anekdoten über zwei gemeinsame Bekannte, „Grantl und Griselda“, die Betreiber von Wagontire Station: Wir berichten von der jungen Dame, die, ohne zu grüßen oder einzukaufen, die Toilette benützen wollte und hochkant wieder rausgeschmissen wurde. („Shit, I’ll pee outside on your porch!“) Liz erzählt, dass die zwei die einzige Tankstelle auf einer Strecke von 120 Meilen besitzen. Und dass der gute Mann deshalb die für amerikanische Verhältnisse unglaubliche Summe von zwei Dollar pro Gallone Sprit verlangt (üblich in der Gegend: ca. 1.50 Dollar). Außerdem müsse, wer hier Benzin braucht, bedingungslos volltanken. Unheimliche Legenden ranken sich um jene, die dafür nicht genug Geld hatten oder sich schlicht weigerten vollzutanken.

Jeder Ort hat seine Heiligen. Auch Wagontire Station. Ehrfürchtig berichtet man von einer Greisin (zum Zeitpunkt ihres Erscheinens soll sie 87 Jahre alt gewesen sein), die den gesamten Weg von der nächsten Benzin führenden Stadt bis hierher gefahren sei, bloß um einem vom Schicksal verfolgten Mitautofahrer bei Wagontire einen Kanister billigen Sprit zu bringen. Die Frau habe sich nur den gelieferten Treibstoff zahlen lassen. Die 25 Dollar, die ihr der Beglückte zusätzlich aufzudrängen versucht habe, habe sie abgelehnt, sei lächelnd in ihren Wagen gestiegen (die Überlieferung spricht von einem alten, blauen Ford) und sei dann nie wieder gesehen worden. Schnüff! – Ein richtiges amerikanisches Benzinmärchen.

Als wir abends mit Liz, ihrem Mann Kent und zwei befreundeten Paaren in dem für gewöhnliche Kunden geschlossenen Restaurant sitzen, fängt es draußen in der Wüste zu unserer großen Verwunderung auf einmal zu regnen an. Mit einem befriedigten Lächeln machen wir uns bewusst, dass wir unsere sieben Dollar vorhin goldrichtig angelegt haben. (Ich hätte ein Vielfaches darauf verwettet, dass heute kein Tröpfchen Wasser von oben kommt.) Wir sitzen im Trockenen, werden auf das Abendessen eingeladen (selbst gemachtes Sauerteigbrot mit eingelegtem Gemüse) und lauschen den amerikanischen Alltagslegenden, die man uns wie lang vermissten Freunden erzählt.

Die spektakulärste Geschichte ist wohl die von Toni, einem heißblütigen Italo-Amerikaner mit nervösem Zeigefinger, wie ihn jedes Klischee nicht treffender beschreiben könnte: 1956 hat er, als er bei den Marines war, vor der Westküste ganz aus Versehen ein japanisches Fischerboot versenkt. „Wir sollten alles, was sich draußen auf See bewegte, genau unter die Lupe nehmen. Und dabei hab ich versehentlich abgedrückt. Das war vielleicht peinlich! Die Zeitungen waren voll davon …“


Über die Autoren

Stefan & Tobi