Sollen sie doch Kuchen essen …

Marie Antoinette

 

Seen im Nebel, Regenwälder, prachtvolle Häuschen, in die man sofort einziehen möchte, um im Rausch der Idylle irgendein stimmungsvolles Märchen zu schreiben.

Ich komme mir vor wie in einem billigen Computerspiel: Die Raupen, die in Massachusetts über den Pannenstreifen gerobbt sind, hat jetzt irgendwer in Connecticut durch ein Heer kleiner, roter Eidechsen ersetzt. Level 2 …

Wir weichen, so gut es geht, aus und bezwingen am Vormittag unter stetigen Schlangenbewegungen nach links, rechts, oben und unten Connecticuts höchste asphaltierte Erhebung, Morrison Hill (366 Meter).

Ich dachte immer, dass der amerikanische Kontinent eine Scheibe ist. Stimmt aber nicht. Amerika ist rund. Ein dämlicher Hügel nach dem anderen. Ich frage mich, wie wir so nach San Francisco kommen sollen. – Ein unbegreifliches Land. Wenn’s so weitergeht, landen wir am Ende wieder in Boston.

Der Regen von gestern hat aufgehört. Trotzdem hängen die grauen Wolken noch immer tief und aufgebläht über der Straße – es könnte jeden Moment wieder beginnen. Manchmal lösen sich tatsächlich ein paar Tropfen aus dem riesigen Schwamm über uns – aber es sieht nicht so aus, als wollte ihn heute noch einmal jemand so richtig über uns ausdrücken. Gestern haben wir ohnehin genug abgekriegt.

Am frühen Nachmittag erreichen wir unseren dritten Bundesstaat: New York. Dabei wussten wir vor dieser Reise nicht einmal, dass der überhaupt existiert.

Eine Spielregel wird geboren: Die Staatsgrenze überqueren wir nebeneinander fahrend, Rad an Rad. Dieses neue Ritual soll uns ab jetzt immer daran erinnern, dass wir – Egotrip hin oder her – diese Reise gemeinsam unternehmen: Alles wird brüderlich geteilt – Anstrengung, Qual, schlechte Laune, mieses Wetter; und folglich auch die „prima nox“ beim Befahren neuer Bundesstaaten.

Immerhin, New York ist schon Nummer drei auf unserem noch grünen Kerbholz, so gesehen haben wir einen bemerkenswerten Teil unserer großen Mission bereits erledigt. Ein kleiner „Meilenstein“, der uns einen ebenso kurzen wie wertvollen Augenblick der Erleichterung verschafft.

Ein alter Bekannter aus Wien, den wir eigentlich im Dörfchen Pine Planes heimsuchen wollten, lässt sich entschuldigen: Er ist in der City und hat zu viel zu tun, um uns in seinem Landhaus zu empfangen. Dafür lädt er uns auf seine Kosten über Nacht in einen feinen New Yorker Jagdclub ein.

Nur 95 Kilometer gefahren, und trotzdem fühlt sich mein Hintern an, als ob jemand seit der Früh drauf herumgedroschen hätte. Ich habe keine Ahnung, wie ich den morgigen Tag überstehen soll!

Mashomack Huntingclub: Nobel zurückhaltender Luxus beschleicht uns, als wir auf dem tiefen Schotterweg zum viktorianischen Clubhaus ausrollen. Der britische Butler kredenzt zum Abendessen eine wohl sortierte Auswahl neuenglischer Dekadenz: ein Hauch frisch erlegte Ente à la Surprise als Vorspeise (wer so richtig auf die Schrotkugel beißt, darf sich was wünschen, neue Zähne zum Beispiel. – Tobi gewinnt!), hernach Trüffelpastete an Preiselbeer, gefolgt von zartrosa Rumpsteak nebst grünem Spargel, weißen Bandnudeln und gelben Eierschwammerln (und wir dachten, die gibt’s nur in good old Europe). Das alles passiert vor unseren Augen in Superzeitlupe am Ufer eines im Sonnenuntergang dahinglühenden Sees mit einer kleinen Schilfinsel in der Mitte und vielen schnatternden Entlein darin.

Ein blödsinnig sattes Grinsen stülpt sich plump über unsere bislang heldenhaft-verwegenen Mienen. Eigentlich wollten wir als stählerne Abenteurer – zäh wie De Niro, kühl wie Brando und unrasiert wie Eastwood – die Neue Welt entdecken. Aber was soll’s, das kann ja noch bis morgen warten! Von diesem kleinen Misstritt muss doch wirklich keiner was erfahren, oder?

Nach dem Bankett fühlen wir uns irgendwie erschöpft. Wohl von der Tafelei – und von dem anstrengenden Herumgesitze in diesem Renaissancegemälde. Als die Sonne vollständig im goldfarbenen Wasser eingetaucht ist, entschweben wir in die uns zugedachten Gemächer und versinken in den riesigen Federbetten wie Eiswürfel in Cherry-Cola, während der Regen ab Mitternacht zornig gegen die Fensterscheiben klopft.


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Stefan & Tobi