Endless Cycle

Lou Reed

 

Wir hatten eine unruhige Nacht in der Feuerwehrgarage. Ameisen und Käfer trampelten kolonnenweise über uns hinweg (liegen wir hier auf einer Art Durchzugsstraße?). Und irgendwann (auf alle Fälle mitten in der Nacht) ging zweimal in voller Lautstärke das Funkgerät mit Signalton und Einsatzmeldung los.

Um sieben stehen wir auf, essen den Feuerwehrleuten ihre Frühstücksflocken weg und fahren dann – so wie gestern – weitere, völlig unnötige Berge hinauf.

Zum Glück schaffen wir es, meine Gangschaltung wieder so einzustellen, dass auch die ersten vier Gänge benutzbar sind. (Berge waren in meinen Abschlussvorbereitungen für die letzte Woche nicht mehr vorgesehen!)

Nach 25 Meilen verdrücken wir am Straßenrand ein paar Burger, nur um danach – frisch gestärkt – wieder blöde Berge hinaufzufahren. Als wir Middletown erreicht haben, würgen wir zur Belohnung einen furchtbar künstlichen Cherry-Slush hinunter – anschließend weitere Berge …

Ein Gutes hat die Sache: Es ist der perfekte Tag, um Abschied von unserem Lieblingsverkehrsschild zu nehmen. Von dem gelben Dreieck, auf dem ein schwarzer Lkw einen schwarzen Keil hinunterrast, hatten wir an manchen Tagen schon Halluzinationen: Der Trucker schaltet an dieser Stelle mit Sorgenfalten in einen niedrigen Gang, weil’s jetzt steil wird, der Radfahrer legt mit glasigem Blick den höchsten ein – aus demselben Grund.

Vor Calistoga fahren wir an einem weiteren Schild („Mount St. Helen“) vorbei und überwinden unmittelbar darauf noch einmal einen hohen Berg. Auf der Rückseite steht ein versteinerter Wald. Da er in den USA immerhin der größte sein soll und uns inzwischen jede Ausrede zum Nichtradfahren willkommen ist, sehen wir uns die Sache aus der Nähe an: Riesige Baumstämme liegen wie zerborstene, steinerne Walzen in einem Waldstück herum und erinnern uns spontan an jene Trümmer griechischer Tempel, auf die wir Europäer in der Alten Welt so stolz sind. Dieser Tempel hier wurde allerdings von Mutter Natur errichtet, und die Vorstellung, dass seine Trümmer die letzten Jahrmillionen fast unverändert überdauert haben, ist geradezu überwältigend.

Unten in der Ebene beginnt das Napa Valley: landschaftlich wunderschön, aber touristisches Schwemmland. Schmale Straßen, die sich auf schnelleren Bergabstücken zu einer echten Gefahr verengen, schattige Waldlandschaften und damit schwierige Sichtverhältnisse. – In Calistoga (überlaufenes Touristenkaff) essen wir mexikanisch. Und dann? Wieder Berge. Aber richtig blöde, diesmal: 12% Steigung, so viel wie nirgendwo sonst auf unserer Tour. Danach sind wir völlig erledigt. – Das hätte ja wirklich nicht mehr sein müssen …

Nach Calistoga und den „Likör-Bergen“ (mehr als 12% …) geht mir alles ziemlich auf den Wecker: aggressive Autofahrer, schlechte Straßen, Glassplitter, schleifende Bremsen, kaum Sicht durch den ewigen Wechsel von Licht und Schatten, später dann durch die fortschreitende Dämmerung und den Dreck auf meiner Sonnenbrille.

Auf Höhe von Interstate 101 (per Auto könnten wir wohl schon in einer guten Stunde in San Francisco sein) halten wir Kriegsrat. Wir sind fix und fertig und hätten noch 15 Meilen bis zu unserer „Bekannten“, die südlich von Santa Rosa in Cotati wohnt. Alternativ dazu gibt es auch hier eine Schlafgelegenheit in einer Kirche. – Die verlockende Distanz von Cotati nach San Francisco (wir könnten morgen zu einem vernünftigen Zeitpunkt am Pazifik sein und eventuell sogar noch San Francisco erreichen) verführt uns schließlich zum Weiterfahren. Nach einigen Kilometern wird es plötzlich unerwartet kalt (später erfahren wir, dass dies bereits zum typischen San-Francisco-Wetter gehört), wenig später auch dunkel. Wieder fahren wir mit Taschenlampen – jetzt haben wir ja schon Übung.

Nach scheinbar endlosen Irrfahrten erreichen wir doch noch das Haus von Barbara. Dort empfängt uns ein freundliches Ehepaar mit wärmender amerikanischer Herzlichkeit: Nach ein paar Sandwiches kehrt mit unseren Kräften auch die gute Laune zurück – und bekommt noch kurz vor dem Schlafengehen einen Freudenjauchzer aufgesetzt, als uns Barbara für diese Nacht ihr Schlafzimmer überlässt. Da steht doch tatsächlich in einer Ecke ein großer, einladender Whirlpool. Versöhnlicher kann ein Tag wie dieser nicht ausklingen!


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Stefan & Tobi