The Drum of the Big Indian

Sacco & Mancetti

 

Die Nacht im College war unheimlich: „Urwaldtrommeln“ in der Ferne, pfeifende Heizungsrohre, quietschendes Gebälk, knarzende Böden.

Ich versuche mir einzureden, dass so ein großes Gebäude logischerweise irgendwelche Geräusche machen muss. Aber andererseits: Was um Himmels willen soll diese Geräusche verursachen?!

Um 22.30 Uhr so etwas wie Schritte auf dem Gang. Jemand verlässt das Haus? Jemand war da?? Yuck!!

Morgens früh um 6.30 Uhr sind wir definitiv draußen! Immerhin gibt uns das für heute einen guten Start: Auf dem Programm steht schließlich niemand Geringerer als Mr. Mount Rushmore, das (oder zumindest ein) Nationalheiligtum der Amerikaner.

Auf dem College-Vorplatz stellt sich heraus, dass es in der Nacht heftig geregnet hat. Gut, dass wir uns am Abend zuvor doch nicht für die Freiluftvariante entschieden haben. Auch gut, dass uns in der Nacht niemand vor die Tür gesetzt hat.

Der Tag fängt schwer beschissen an und denkt nicht daran, auch nur einen Hauch besser zu werden. Stefan ruiniert beim Festziehen seiner Sonnenbrillenschrauben meinen nagelneuen Leatherman und schneidet mir dann zur Strafe noch ordentlich damit in den Finger! Es ist kalt und nass. Die kommende Auffahrt wird für mich zur Qual.

Endlose, breite Autokolonnen wälzen sich auf der zweispurigen Autobahn in die Black Hills, riesige Reklametafeln, kitschige Blickfänger (blinkende Plastikbären, schwankende Präsidenten-Attrappen) und jede Menge selbst ernannte Attraktionen: Gold schürfen für jedermann, Wasserparks, Souvenir-Supermärkte und als Krönung ein Aquarium mit Robben und Delphinen (auf 2000 Meter Seehöhe ein regelrechtes Muss!).

Während einer Pause schenkt uns ein mitleidiger Radfahrer aus MAINE (darauf legt er sehr viel wert) 20 Dollar, nachdem wir ihm von unserer letzten Übernachtung erzählt haben. – Und oben auf dem überfüllten Parkplatz fragen uns intelligent aussehende Touristen mit blankem Entsetzen, ob wir etwa den ganzen Mount Rushmore mit dem Fahrrad hinaufgefahren sind.

Mount Rushmore selbst ist dann weit weniger spektakulär als erhofft. Als wir noch Kinder waren, hat uns jedenfalls die Legoland-Nachbildung in Dänemark mehr beeindruckt.

Als Stefan (schon leicht entnervt) auf der Suche nach seiner Kamera einen Teil seiner in Plastiksäcke verpackten Kleidung auf einem Rasenstück ablegt, zieht er sich dadurch den Zorn einer älteren Dame zu: „Schmeißen Sie Ihren Müll gefälligst in die Tonne!“ Ich breche an Ort und Stelle von Lachkrämpfen geschüttelt nieder und erlange meine Fassung gerade noch rechtzeitig zurück, um meinen nach Luft schnappenden Bruder an einem eiskalten Pensionistenmord zu hindern.

Eilenden Trittes verlassen wir diesen Ort des Grauens, schauen kurz bei der Baustelle des Crazy-Horse-Monuments vorbei und radeln dann fröstelnd hinunter nach Custer zu „Taco John“ auf ein paar besonders traurig-fade Tacos. Immerhin: Eisgekühltes Cola dürfen wir uns hier (wie in den meisten Fast-Food-Ketten Amerikas) nehmen, so viel wir wollen.

Obwohl ich mir trockene Radkleidung angezogen habe, spüre ich vor lauter Kälte meinen rechten Daumen nicht mehr. Selbst eine halbstündige Massage und heißes Wasser aus dem Toiletten-Wasserhahn können ihn nicht erwecken.

Wen wundert’s? Taco Johns Jungs haben die Klimaanlage zweckmäßigerweise ganz dem vorherrschenden Wetter angepasst und halten die Raumtemperatur konstant bei ungefähr 10 Grad Celsius! Echt cool. – Zwischen den traurigen Tacos gehen wir deshalb immer wieder nach draußen, um uns bei 15 Grad ein wenig aufzuwärmen.

Unser Nachmittagsziel ruft: South Dakota und dieses Touristen-Ghetto endlich verlassen! – Nachdem die Chance, heute tatsächlich einen neuen Staat zu erreichen, allmählich zur Gewissheit reift, werden auch die Stimmung und das Wetter besser: Die Wolkendecke reißt auf – wärmender Sonnenschein, als wir nach Wyoming einreiten. Die vielen Autos verschwinden wie von Geisterhand, und auch die Farbe kehrt in unsere Finger zurück. So lassen sich die Ausläufer der Black Hills wie von selbst bewältigen. Psychosomatik ist doch was Feines!

So wie diese wunderschönen Pinienwälder im Grenzland zu Wyoming hatte ich mir eigentlich Kanada vorgestellt! In dem Maße, in dem wir das aufregende, wüste, aber von den Menschen her doch ziemlich unbefriedigende South Dakota hinter uns lassen, finde ich auch wieder Freude am Radfahren und fiebere dem Yellowstone Park entgegen.

In Newcastle versuchen wir vergeblich, über einen Radiosender einen Platz zum Übernachten zu finden (wir haben wohl zu viele Filme gesehen). – Ein paar Blocks weiter setzen wir die Herbergssuche auf konservativere Art fort: In der „Mill“, Newcastles nobelstem Fresstempel, warten wir über eine Stunde auf eine Antwort (wir hatten bloß gefragt, ob sie jemanden mit Garage kennen), bis sich endlich Ferienaushilfskellner Frank erbarmt und uns mit zu seinen Eltern nach Hause nimmt.

In der Garage unserer neuen Gastgeber versuchen wir eine Stunde lang, den „Achter“ aus Stefans Hinterrad zu fummeln, und reparieren nebenbei die alte Velo-Krücke von Edith, unserer Gastgeberin. Sie macht uns dafür ein ausgezeichnetes Abendbrot.
 

No Bonus …

Die Suche nach der abendlichen Unterkunft ist schön langsam Routine geworden. Aber beim Erzählen müssen wir immer wieder geduldig von vorn anfangen. Immer das gleiche Lied. Selbst die spektakuläre Geschichte von den zwei verrückten „Austrians“ ist schon Standard. – Bloß, den anderen ist das nicht bewusst. Bonus hat man deshalb noch lange keinen, und auslassen oder abkürzen darf man schon gar nichts.

Tag für Tag: „Wollen Sie, Sir, unsere schöne, schöne Geschichte kaufen? – Wie wäre es mit Ihnen, gnädige Frau?“ Das Grundgebot liegt bei einer Garage mit Gartenschlauch. Dafür jedoch mit der eigenen Existenz hausieren zu gehen, fällt mitunter schwer – vor allem, weil die Leute, die uns bereits kennen, uns schon mit so viel Selbstwertgefühl vollgepumpt haben. Aber mit dieser Vergangenheit kann man in unserer Situation keinen Blumentopf gewinnen.

Das sind so Gedanken, die einem durch den Kopf schwirren, wenn man über eine Stunde in einem Restaurant sitzt, weil einmal nicht gleich jemand vor Begeisterung aufspringt, um uns eine Unterkunft mit Verpflegung für die Nacht aufzudrängen.

Jedenfalls haben sich die Leute, bei denen wir heute übernachten, als unheimlich nett erwiesen. Wieder einmal – erwartungsgemäß, ist man versucht zu sagen. Aber natürlich, es ist ja auch ein unglaubliches Land.
 


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Stefan & Tobi