Die Straßen von San Francisco

Fernsehserie

 

Auch heute sind wir wieder unterwegs. Und die darauf folgenden Tage. – Man braucht seine Zeit, um in San Francisco anzukommen.

Während einer Reise wie dieser verliert man seinen inneren Halt. Im Geiste hinkt man immer ein paar Tage hinterher, und so ist man an manchen Orten auch dann noch, wenn man sie in Wirklichkeit schon lange verlassen hat. Immerhin sind wir fast jeden Tag gefahren. Bloß, man ist nicht jeden Tag zum Fahren bereit. Auf dem Rad hat man viel Zeit, das alles aufzuarbeiten. Aber in San Francisco?

Um Distanz zu gewinnen, schreiben wir ungefähr 50 Postkarten – an unsere Freunde entlang der unsichtbaren Spur, die wir quer durch Amerika gezogen haben. Am Fisherman’s Wharf essen wir Krabben (die lokale Spezialität), um uns San Francisco einzuverleiben. Es hilft auch, sich in eine Bar zu setzen und mit Anchor Steam (dem örtlichen Bier) volllaufen zu lassen. – Zumindest wirkt es spannungslösend.

Die Anpassung ist trotzdem schwierig. Ein Problem, das wir eher am Anfang unserer Tour erwartet hätten. Aber die Reise begann langsam. Es ist das Ende, das so abrupt kommt. Jetzt plötzlich wieder ein normaler Bürger zu sein, nicht beachtet und nicht mehr angesprochen zu werden: Ungefähr so muss es sein, wenn Superman auf einmal seiner Superkräfte beraubt wird und auf ewig Clark Kent bleiben muss.

Jetzt, wo die Leute sich nicht mehr um uns kümmern, fehlt mir etwas. Nun müssen wir wieder alles selber machen. Dabei waren mir die vielen neugierigen Fragen am Ende schon ziemlich auf die Nerven gegangen. – Eitel sind wir geworden in all den Wochen. Ich werde gerne für etwas Besonderes gehalten. Jetzt fühle ich mich dafür einsam. Kleine Identitätskrise also.

In San Francisco macht das Radfahren plötzlich wieder Spaß! Wir rasen wie die Verrückten die Hügel der Stadt rauf und runter. Geht ja ganz leicht ohne 15 Kilo Gepäck. Und die Aussichten, die sich dabei auf die Bay-Area und die malerischen Stadtschluchten bieten, sind einfach toll.

Jetzt sind wir Touristen. Die Erleichterung, nicht mehr radeln zu müssen, den Kilometerzähler abstellen und aus unserer Uniform schlüpfen zu können, ist groß. So ähnlich muss es sein, wenn man nach einer langen Theatertournee aus dem Kostüm eines Löwen schlüpft und sich zu den Schafen zurück in die Herde begibt, tief im Herzen aber nicht vergisst, wie man brüllt, jagt und „draußen“ überlebt.

Unsere Reise ist wie eine lange, steile Wendeltreppe. Nun sind wir oben angekommen. Toll, was wir alles hinter uns haben. Voll Stolz schauen wir zurück. Doch wirklich sehen kann man’s gerade bis zur letzten Kurve.

Ein Abenteuer in Stein gehauen. Wir können nichts mehr daran ändern. Was während der Reise so locker von der Hand ging, was oft selbstverständlich und manchmal im Überfluss vorhanden war, ist mit einem Mal vorbei.

Es ist Geschichte geworden.
  

Wieder daheim?

Wir sitzen in der Maschine zurück nach Paris. In weniger als zwölf Stunden sind wir wieder zu Hause. Zuhause? Was ist das nach so einem Abenteuer? Zuhause ist im Augenblick wie das Glas Bordeaux, das wir von der Stewardess serviert bekommen, und das kleine Stück Camembert, das wir so lange nicht kriegen konnten und das ich erst jetzt, in diesem Moment, vermisse, weil mir der reife Walnussduft des französischen Käses in die Nase steigt.

Ich muss die Augen schließen beim ersten Schluck aus dem Glas: Da war doch was, etwas unheimlich Vertrautes und Behütendes. Der trockene Bordeaux kitzelt meine Magennerven, dass es an den Haarwurzeln kribbelt. Das Kribbeln verebbt langsam, Zufriedenheit bleibt. Gesichter und Stimmungen flackern auf: Drago und Flori in Canada – der Geschmack von Filetsteak bei Debbie in Iowa – Flugversuche mit Chuck in den Sanddünen von Idaho – das Gefühl, klatschnass bis auf die Haut und trotzdem rundum glücklich zu sein – Tischfußball in Woodstock – Sterben und Leben in den Big Horn Mountains – der Duft von Sagebrush – der Geschmack von klarem, kaltem Wasser – und diese unsterblichen Augenblicke, in denen man auf einer endlosen Landstraße alles um sich herum vergisst, weil eine Stimme ganz tief drinnen sanft und leise „Schschsch… !“ gesagt hat.


Über die Autoren

Stefan & Tobi