I like to fish and think and sit,

and think and fish,

and sit and wish

that I could get a drink.

Klospruch

 

Dank fachmännischer Behandlung ist „Angie“ am Morgen so gut wie besiegt (gestern Abend war die Warmes-Bier-Therapie dran).

Das Frühstück nehmen wir in einem netten (weil typischen) Diner ein; danach dasselbe Spiel wie gestern: Triefnasse Regenwolken hängen den ganzen Tag drohend über uns – aber nichts passiert. Als es dann doch leicht zu nieseln beginnt, nehmen wir die Gelegenheit wahr, in einer Art Dorfstadl in Walhalla eine riesige Portion „Wet Burritos“ und „Big Nachos“ zu verdrücken, und als sich das Wetter danach noch immer nicht gebessert hat, spülen wir das alles noch mit einem Pitcher Bush Lite hinunter.

Das Lokal ist voll von kaputten Typen, und die Kellnerin behauptet, unsere Radtour, von der wir ihr stolz erzählen, wäre gut für uns („Good for you!“). – Keine Ahnung, was sie damit meint!

Als das Nieseln schließlich aufhört, fahren wir weiter nach Ludington. Erste Station ist der Hafen, um im Fährgebäude unsere Tickets nach Manitowoc zu kaufen. (Manitowóc – Betonung des Namens auf der Endsilbe! Wie die chinesische Bratpfanne eines Indianergottes.)

Tobis Versuch, mit einem Schmäh Halbpreistickets herauszuschinden, schlägt fehl.

Dummerweise stellt sich heraus, dass die Adresse, die wir in Yale von Donna bekommen haben, nicht mehr so ganz auf dem neuesten Stand ist: Unser Gastgeber in spe ist nicht aufzutreiben; auch nicht, als wir unser gesamtes Erspartes in ein Telefon stopfen, um Donna höchstpersönlich anzurufen.

Stefan wirft sich daraufhin jammernd auf die Erde, erhebt die Hände beschwörend gen Himmel und klagt laut und herzzerreißend über unser elendes Schicksal. Unser sendungsbewusster Spezialfreund in Le Roy wäre davon sicherlich begeistert gewesen – doch hier lässt die Antwort der Götter erstaunlich lange auf sich warten. Hört uns hier denn wirklich niemand? – Doch wenigstens hört uns Kyle. Kyle arbeitet im Ticket Office und lädt uns freundlicherweise ein, bei ihm zu übernachten.

Kyle ist trotz (oder gerade wegen) seiner 17 Jahre ein Mann von Format, Stil und Weitblick. In weniger als fünf Minuten erkennt er, dass er in uns nicht nur ein paar neue Freunde, sondern auch ein paar nützliche Gehilfen gewonnen hat: Am Abend ist schließlich Teeny-Disco, und Teenys dürfen zwar hierzulande bekanntlich ab 16 Auto fahren – aber Alkohol trinken?!

Blitzartig treibt Kyle deshalb bei einem Freund einen aufklappbaren Wohnwagen auf, schleppt ihn in den Vorgarten seiner Mutter (die war hellauf begeistert) und ködert uns mit Wein, Weib und Gesang.

Als Kyle schließlich von seinem Alkoholproblem erzählt, sind wir voll des Mitleids („Wie ungerecht …“). Spontan und in dem unerschütterlichen Wissen, Kämpfer für eine höhere, globale Gerechtigkeit zu sein, erklären wir uns bereit, für ihn und seine Freunde einkaufen zu gehen. Kein schlechter Tausch: Sie zeigen uns ihre Jugendkultur. Wir zeigen ihnen den österreichischen Weg – und der führt bekanntlich nicht gerade am Bier vorbei.

Freilich, die Jugendkultur hier ist ein wenig anders als bei uns. Nix Puch Maxi oder Vespa – dafür aber jede Menge riesengroße, benzinsaufende Automatik-Cruisin’-Schlitten, die ja sonst sowieso nur irgendwo auf Hinterhof-Schrottplätzen herumstehen würden. Mantamäßig (Ellenbogen raus, Subwoofer auf volle Leistung und so) geht’s damit durch die abendliche Hauptstraßenidylle. Eben mal checken, was so läuft. Was machen die Mädels? Was machen die Jungs? Hmm… – Uns macht die ganze Sache ungeheuren Spaß (obwohl wir dabei das Gefühl nicht loswerden, in unserer früheren Jugend irgendwas verpasst zu haben).

Wie zu allem entschlossene Bankräuber fahren wir dann mit zwei Autos beim Supermarkt vor. Alles ist genau geplant und filmreif umgesetzt. – Wir wussten gar nicht, dass Einkaufen so spannend sein kann: Halbstarke Minderjährige, die wir natürlich noch nie zuvor gesehen haben, verteilen sich (mehr oder weniger) unauffällig zwischen den Kaugummi- und Waschmittelregalen und überwachen aus sicherer Entfernung die zu tätigenden Einkäufe. Hin und wieder zischt uns einer eines dieser übel klingenden Tabuworte zu – wie „Red Wolf“ oder „Yeigrmaister“ und wir machen dafür Channelsurfing in den Liquor-Regalen: Dabei kommt dann Weizenbier mit Kirschgeschmack raus. Oder Wodka von einem Herrn namens „Popov“.

Es kommt einiges zusammen. Als wir mit vollem Wagen bei der Kasse antreten, mustert uns die Kassiererin misstrauisch. Irgendwas ist hier faul. Nur, was? – Als brave Amerikanerin beschleicht sie schließlich das Gefühl, dass sie hier wohl irgendwo weltverbessernd eingreifen sollte. Bloß wo?

Ich reiche ihr meinen Pass. Die Kassiererin zieht die Augenbrauen hoch. Sie dreht den Pass um und betrachtet die Rückseite. Jetzt sieht er aus wie ein kommunistischer Parteiausweis. Mit bewundernswerter Standhaftigkeit weigert sie sich, noch einmal auf die Vorderseite zu blicken. Denn dort steht „Passport“ drauf. Und das passt offensichtlich nicht zu ihrem Plan.

Schließlich gibt mir die Kassiererin zu verstehen, dass sie mit dem Ding nichts anfangen kann. Aber ich bleibe hartnäckig. Ich mache sie darauf aufmerksam, dass es mir mit diesem „Parteibuch“ doch immerhin gelungen ist, in die Vereinigten Staaten einzureisen. Das macht Eindruck. Eine Kollegin schaltet sich ein. Sie weiß, wo Europa liegt. Ich gewinne Schwindel erregend an Glaubwürdigkeit, und so dürfen wir schließlich mitsamt der Ware passieren.

Im Wäldchen hinter der Schule wird dann die Beute im Lichtkegel unserer beiden Ami-Schlitten unter viel Gekicher und Heimlichtuerei konsumiert (unter anderem ein Zimtlikör, den nur „Young Americans“ ohne zu erbrechen trinken können). Mit einem europäischen Wagen hätte Kyle auf dem holprigen Waldweg wahrscheinlich einen Achsbruch riskiert. Aber bei den amerikanischen Schlachtschiffen! (Komisch: Irgendwie scheinen sie für genau solche Aktionen ausgelegt zu sein …)

Den restlichen Abend verbringen wir – nachdem wir uns Mut (hihihi) angetrunken haben – in einer Teeny-Disco („Mädchen! Wann haben wir das letzte Mal richtige Mädchen gesehen!!!“). Hier gehen wir locker als 18 durch – wenn man älter ist, darf man nämlich gar nicht hinein.

Keine Gefahr für Tobi, das 25-jährige Milchgesicht!

Das wurde spätestens in dem Moment klar, als ich einem Mädel drinnen aus Versehen mein richtiges Alter gesagt hab’. Die fühlte sich schlicht verarscht.

Ansonsten ein wirklich interessantes Schauspiel. Arme Kinder, die in einer Kleinstadt wohnen! Wie soll man hier als Eingeborener die Sau rauslassen, wenn’s morgen die ganze Stadt weiß?

Anschließend (natürlich sperrt die Teeny-Disco pünktlich um ein Uhr) lassen wir uns mit unseren neuen Freunden außerhalb der Stadt auf einer Waldlichtung nieder. Bei Lagerfeuer und Autoradio wird weitergebechert. Um vier Uhr müssen wir einen der Jungs halbnackt aus seinem Auto zerren, damit uns ein anderer, bekleideter, wieder in die Stadt zu unserem Wohnwagen bringen kann. Kyle hat im Rausch versprochen, unsere Fährtickets auf den nächsten Tag umzubuchen. Das war allerdings, bevor sein Wecker aus Versehen ins Lagerfeuer fiel. Bis wir schließlich im Bett sind, ist es fünf Uhr.


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Stefan & Tobi