You’re gonna meet some really weird people out there …

Nick, Boston

 

Seit heute Nacht sind wir die Wuzelkönige von Woodstock. Wider Erwarten spielen die Amis in ihren Beiseln auch Tischfußball. („Was, das kann man auch auf Rasen spielen?“) Die Tische sehen zwar ein bisschen komisch aus (es gibt drei Torwarte – für jeden, versteht sich). Aber sonst haben sich die Burschen (und Mädels) ganz passabel bis drei Uhr früh gegen die endgültige Vernichtung durch das österreichische Dreamteam gewehrt.

Tobi und Samuel Adams haben unseren Schlafplatz in der Nacht erfolgreich mit einem ausgedienten Golfschläger gegen einen Alt-Hippie verteidigt, der Frieden und Glück ausgerechnet im Müllcontainer neben dem Radgeschäft suchte und dabei auch ein verliebtes Auge auf unsere Räder geworfen hatte.

Wir erwachen entgegen allen Befürchtungen nicht im strömenden Regen. Trotz wenig Schlaf sind wir mental erfrischt: Die vergangene Nacht war wirklich nett und damit Basis genug, um heute bei anfänglich kühlem, ein wenig regnerischem Wetter wieder kräftig in die Pedale zu treten.

Nur die Straße spielt irgendwie nicht so richtig mit. Wenn die Amis wüssten, wie man ordentliche Serpentinen baut, dann hätten wir diesen Achterbahn-Tag in der Hälfte der Zeit erledigen können. Aber denen ist das Wurscht. Hier fahren die Leute ja sogar zum Briefkasten mit dem Auto.

Es ist schon seltsam: Eigentlich hatte ich immer gedacht, dass sich die Menschen in Amerika von uns Europäern durch irgendetwas grundlegend unterscheiden würden. Aber im Prinzip sind die Leute hier genauso wie zu Hause; es ist nur das Land, das offener und weiter ist. Das gibt den Leuten die Chance zu mehr Freiheit und Offenheit – manchmal allerdings auch zu größerer Spießigkeit.

Am späten Vormittag feiern wir ein Wiedersehen mit Route 28, die wir gestern um Woodstock willen verlassen hatten. Route 28 führt uns laut Karte zum ersten Mal durch Indianergebiet. Hätte nicht heute mein Radcomputer seinen Geist aufgegeben (Stefans funktioniert seit gestern wieder), dann wäre es dank plötzlicher Sonne und blauem Himmel ein restlos schöner Tag geworden.

Sonne und blauem Himmel ist es dann zu verdanken, dass wir einen kräftigen Sonnenbrand bekommen – allerdings nur links: Logisch, wir fahren ja immer nur nach Westen. Und die Sonne wandert den ganzen Tag südlich, also links von uns vorbei.

Als uns die Sonne schon lange überholt hat und es bereits dämmert, kommen wir in einen Ort namens Walton. Stefan mag die Stadt schon nicht, als wir hineinfahren. Aber es ist zu spät, um noch weiter zu suchen.

Walton ist seltsam schaurig. Dicke, hässliche Menschen, die sich alle irgendwie ähnlich sehen. High noon. Ich und er. Der Radfahrer und der Ort. Ich komme mir beobachtet vor. Dabei ist die Stadt wie ausgestorben. – Dass das nur mal keine Falle ist!?

Die meisten Einwohner sind bei einem „Ballgame“, sagt man uns. Aber wer weiß, ob man den Leuten hier trauen kann. – Uns traut man jedenfalls nicht. Ein schlechtes Zeichen!

Wir finden niemanden, der uns beherbergen will. Als letzten Ausweg fragen wir schließlich bei einer Kirche um Quartier. Der Pastor ist konsequenterweise gerade bei einer Beerdigung. Aber ein Kaffeekränzchen alter kichernder Ladys nimmt uns äußerst herzlich im Pfarrsaal auf und bewirtet uns mit Keksen. Eine der Damen bringt uns schließlich gleich nebenan bei ihrem Sohn unter.

Trotzdem, ein stupides Nest.


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Stefan & Tobi