On the road again

Canned Heat

 

Weil Valerie letztlich früher als geplant zur Arbeit muss und deshalb nicht mehr genug Zeit hat, uns noch die Gegend ein bisschen zu zeigen, entschließen wir uns, doch schon heute aufzubrechen. Trotzdem wird es (mit Familienfotos schauen, Adressen austauschen und umfangreichen Plaudereien) früher Nachmittag, ehe wir uns losreißen können.

Was soll man dazu noch sagen: gemütlich aufgestanden, leckere Honeynut-Loops mit frischen Heidelbeeren gefrühstückt, im Pool herumgeplanscht und einen weiteren Videofilm angeschaut. Plötzlich kriegt Stefan einen Aktivitätsanfall, und um zwei Uhr – just in der schönsten Hitze – sind wir wieder Nomaden.

Es hilft alles nichts: Wir müssen unsere Mission jetzt irgendwann beenden. Wir wollen ja schließlich nicht noch mal so außer Tritt kommen wie in Idaho. – Natürlich ist es schön hier. Aber was uns beiden im Kopf herumspukt, ist in Wahrheit etwas ganz anderes – und das können wir nicht einfach immer weiter hinausschieben: Die Reise ist erst dann vorbei und unsere Aufgabe erfüllt, wenn wir in San Francisco über die Golden-Gate-Brücke rollen.

Das geschieht Stefan ganz recht: Schon nach zwölf Meilen, kurz nach der Ortseinfahrt von Red Bluff, holt er sich den größten Patschen seines Lebens. Irgendwie gelingt es ihm, sich einen dicken, rostigen Nagel quer durch den Hinterreifen zu piercen. So schnell kann er gar nicht stehen bleiben, wie ihm die Luft entfleucht!

Nicht einmal 300 Meilen von San Francisco entfernt muss ich also zum ersten Mal zu den (Tobi bestens vertrauten) Mantelhebern greifen. Wie macht man das eigentlich, Reifen flicken …? – Während ich einen neuen Schlauch einziehe, fährt Tobi wegen seines chronischen Speichenbruchs in den Ort zu einem Radgeschäft.

Nachdem ich Tobi nun schon so oft beim Reifenwechseln zugesehen habe, gelingt mir die Sache erstaunlich flott (man lernt eben auch durch Beobachtung). So bleibt mir noch genügend Zeit, zur Polizeistation weiterzufahren, um auch die Sache mit der Brille zu regeln. Meine Erwartungen setze ich sicherheitshalber nicht sehr hoch an, und der erste Wortwechsel vor Ort scheint mir Recht zu geben: Der freundliche Police-Officer, mit dem ich ein paar Tage zuvor die Brillenübergabe vereinbart habe, hat heute nämlich seinen freien Tag und ist auch zu Hause nicht erreichbar. – Ein nicht minder freundlicher Kollege erklärt sich jedoch dazu bereit, für mich auf dem Schreibtisch des betreffenden Herrn nachzusehen, und tatsächlich findet sich dort – meine Brille; fein säuberlich in ein Kuvert gepackt und mit freundlichen Grüßen von all jenen, durch deren Hände sie bisher gewandert ist.

Anschließend treffe ich Tobi, der ein bisschen wütend aussieht, bei Burger King.

Nun weiß ich endlich, dass man in einem kalifornischen Radgeschäft 10 Dollar zahlen muss, wenn man sich einen Mutternschlüssel für drei Minuten Arbeit ausborgen will. (Okay, es ist ein Spezialschlüssel, aber trotzdem …) Ich hab dem Mechaniker einen schönen Tag gewünscht und beschlossen, notfalls bis San Francisco mit einem Achter, einer Speiche weniger und ohne Hinterradbremse zu fahren.

Mit gemischten Gefühlen (Stefan ist zufrieden, Tobi nicht) verlassen wir Red Bluff. Die Fahrt nach Chico finden wir dagegen beide toll: Der Pannenstreifen gleicht einer Radler-Autobahn; knapp zwei Stunden fahren wir mit leichter Windunterstützung durch schattige Obstgärten und Walnussplantagen. Es ist inzwischen später Nachmittag, und die tief stehende Sonne lächelt uns durch die Baumlücken freundlich an. Sonnig ist auch das Gemüt der Leute, die uns im Vorbeifahren zuwinken.

Verdammt! 10 Meilen vor Chico fängt sich mein Hinterrad an der einzigen baumlosen Stelle der Straße ein Loch ein. (Merke: Es erhöht das Vergnügen des Reifenflickens beträchtlich, wenn man dabei mitten in der prallen Abendsonne sitzen darf.) Danach ist das Hinterrad völlig verzogen und eiert so sehr, dass es mich bei jeder Umdrehung förmlich aus dem Sattel hebt.

Wir fahren deswegen konsequent langsam. Tobi scheppert und quietscht wie nie zuvor. Ich wusste ja schon immer, dass bei dem Kerl eine Schraube locker ist!

Wie durch ein Wunder schaffen wir es ohne Totalschaden bis in die Collegestadt Chico. Unsere Herbergssuche führt uns zunächst bei wachsender Sorge durch endlose Außenbezirke. Trotz schlechter Vorzeichen (Städte mit 50.000 Einwohnern sind einfach nichts für Mitleid heischende, Schlafplatz schnorrende Radfahrer) ist uns das Schicksal wieder einmal hold.

Nicht nur, dass wir einen Baptistenpfarrer finden, der uns gleich das gesamte Jugend-Versammlungshaus seiner Gemeinde zum Nächtigen überlässt, der Mann schafft es auch tatsächlich, mit Hammer und Schraubenzieher die Spezialschraube an meinem Hinterrad zu öffnen. (Wahrscheinlich hat er sie heimlich aufgebetet!) Gemeinsam wechseln wir in seinem Werkzeugschuppen die kaputte Speiche aus und bringen die verzogene Felge wieder ins Lot.

Nach geglückter Operation wird Chico unsicher gemacht: Eis fressen, Coke trinken, Telefonieren (Mütterchen hat heute – wenn man die Zeitverschiebung mit berücksichtigt – Geburtstag), flippern, Video spielen – kurz: Nach Einbruch der Dunkelheit stillen wir unseren durch spartanische Genügsamkeit gesteigerten Zivilisationsdurst immer exzessiver durch die fast schon sündhafte Befriedigung primitivster Grundbedürfnisse.

Höhepunkt: eine Schlacht unter Brüdern an einem Do-it-yourself-Hotdog-Stand (1 Dollar das Stück). Stefan hat nachher sein ganzes Hosenbein voll grüner Zwiebelsauce, und ich sehe aus, als hätte ich mich mit leuchtend gelbem Senf bepinkelt. – Ein klassisches Unentschieden.


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Stefan & Tobi